Barfen - neue Mode oder alter Hut?

Seit nicht allzu langer Zeit geistert ein neues Wort durch die Reihen der Tierliebhaber, versetzt einige von Ihnen in begeisterte Verzückung, lässt andere den Kopf schütteln, wieder andere zum Erzfeind werden und die uns allen aus der Fernsehwerbung bekannten Futterhersteller in rachefeldzuglüsternde Panikstimmung aufgehen. Dieses Wort, nur aus vier winzigen Buchstaben bestehend und völlig entgegen der in unserer Heimat seit langer Zeit heimisch gewordenen Mode zur schleichenden Anglifizierung auch noch in deutsch vorkommend, ist das Wort „Barfen“.

Was ist das - Barfen?

Spricht man es aus, klingt es ungefähr wie das nachmahlzeitliche Bäuerchen eines alternden Drachen, dem das Feuer ausgegangen ist. “Ich barfe“ sagen die Anhänger dieser neuen Freiheitsbewegung. Na wenn da mal nichts Unanständiges dahinter steckt! Irgendwie hört sich dieses Wort geheimnisvoll, fremd, auch ein bisschen gefährlich an.

Aber hinter diesem simplen Vierbuchstabler steht nichts weiter als das ganz gewöhnliche Füttern eines Haustieres. Genau genommen geht es um Haustiere, die sich einen Pelz leisten können. Alle nichtpelzigen können denselben Anspruch erheben, führen aber in der Diskussion um „Barf“ eher ein Schattendasein. Oder wie die Liebhaber haariger Schmusetiere gern sagen „Fellnasen“.

Ist nun also „Barfen“ ein neues Wort, das die letzte Rechtschreibreform nicht ganz überstanden hat und das demnächst im Duden auftauchen wird?

Mit Nichten. Es ist, und wer die deutsche Sprache kennt, den wird das nicht weiter verwundern, natürlich eine Abkürzung. Wir Deutschen lieben ja bekanntlich Abkürzungen, besonders in den Amtsstuben oder beim Simsen (neudeutsch für: „eine SMS schreiben“), und es verwundert mich immer wieder, warum denn eigentlich „Abkürzungsverzeichnis“ so ein langes Wort ist.

Aber gut, es ist also eine Abkürzung, und die kommt ursprünglich aus dem englischen Sprachraum. Hier steht „Barf“ für „Biologically appropriate raw food“. Alles klar? Nö, mir nicht, denn mein letzter Englischunterricht war 1983. Ganz zu Anfang stand "Barf" mal für "Bones And Raw Food", also "Knochen und rohes Futter".

Aber ganz gegen unsere sonstigen Gewohnheiten haben die „Barfer“ sehr schnell deutsche Entsprechungen dafür gefunden und „Barf“ übersetzt mit „Biologisch Angemessenes RohFutter“ oder „Biologisch Artgerechte RohFütterung“. Oder wie meine Dalmatiner-Freundin "sagen" würde: "Besonders Appetitliches Rohes Futter".

„Wow, was ist das denn?“, habe ich mich gefragt, als ich das das erste Mal hörte. Aber es dauerte nicht lange, da war mein Erstaunen einem müden, mitleidigen Lächeln gewichen.

Das erste Erstaunen übermannte mich wohl deshalb, weil ich als braver Zuschauer einiger weniger öffentlich-rechtlicher und einer unüberschaubar großen Anzahl privater Fernsehsender seit mindestens 19 Jahren (die Zeit vor der Wende werde ich nicht öffentlich zugeben) weiß, dass der schön raschelnde, hochglanzbedruckte Karton mit seinen vollfleischigen, wahnsinnig leckeren, gesundheitsfördernden und zahnpflegenden kleinen Snacks das Allerbeste für Hündchen und Kätzchen sind. Wer würde denn daran schon zweifeln. Enthalten Sack, Karton, Tüte, Büchse und Döschen doch nur erlesendste Zutaten, im Zweifel aus biologischem Anbau. „Biologischer Anbau“ ist natürlich das Mega-Beste. Ich habe übrigens versucht, die feine Petersilie, die im Büchschen enthalten sein soll, mal nicht biologisch, sondern physikalisch anzubauen - geht nicht! Schade! 

Warum ich mitleidig lächelte? Weil mir plötzlich einfiel, dass unsere Hunde ja eigentlich alle genetische Wölfe (Canis lupus) sind, was mittlerweile dank der modernen Genetik bewiesen werden konnte. Ich habe davon zwar nicht so viel Ahnung, weil ich tiermäßig eher dem nassen Element zugetan bin, aber Dank moderner Medizin und gesunder Supermarkt-Fertig-Suppen-Kost bin ich bisher von gedächtnisbeeinflussenden Erkrankungen verschont geblieben und kann mich noch gut an meinen letzten Biologieunterricht erinnern. Mein Lächeln wurde dann aber immer breiter und wich einem eher als Grinsen zu bezeichnenden Gesichtsausdruck, und zwar bei der Vorstellung, wie ein Wolf nachtens durch mein Kräuterbeet schleicht und heimlich, nach links und rechts Ausschau haltend, von meiner Petersilie nascht. Alternativ kann man sich, dem Kopfkino sei Dank, auch mal einen Dingo im australischen Busch vorstellen, der sich mit Zahnseide die Zahnzwischenräume reinigt, damit Onkel Tierdoktor, den es auch in Australien geben soll, das nächste Mal nicht bohrt.

Bei einem meiner nächsten Einkaufsmarathons im Supermarkt konnte ich dann nicht anderes als mir einmal eine Tüte Trockenfutter mit wertvollsten Zutaten aus dem Regal zu nehmen und mir jene erlesenen Zutaten anzuschauen. Ich komme zwar an späterer Stelle noch einmal darauf zurück, möchte aber hier schon so viel sagen, dass ich dort an oberster Stelle las: Getreide! Irgendwie kam eine wage Erinnerung in mir hoch, dass die Hauptzutat in Deutschland immer an erster Stelle steht, aber das hatte ich nun am allerwenigsten erwartet. Getreide? Wieder in der Erinnerung kramend sah ich Wölfe vor mir, die im Wald oder auf Lichtungen Hasen oder Rehe jagen oder alternativ verendete Tiere im Rudel (Familienverband) verspeisen. Aber weiß das denn heute eigentlich der durchschnittliche junge Tierhalter noch. Sicherlich nicht, denn Wölfe gab es ja schon lange Zeit nicht mehr in unseren Wäldern. Jetzt sollen zwar wieder einige aufgetaucht sein, was ich vor Freude hüpfend registrierte, aber schon kommen wieder Vokabeln wie „abschießen“ ins Spiel.

Ein richtig heftiger Lachanfall schüttelte mich, als ich mir vorstellte, wie so ein Wolfsrudel in mondheller Nacht aus dem Wald schreitet, ein Weizenfeld betritt und kräftigst Körnchen nascht. Wie geht es ihnen bei dieser Vorstellung? Oder haben wir jetzt das Geheimnis der Kornkreise gelöst?

Nun gut, wollen wir die Albernheiten nicht übertreiben und schauen, wie es mit mir und dem neu entdeckten „Barf“ weiter ging, denn ich wusste nun, dass irgendwas mit dem „besonders wertvoll“ wohl nicht hinhauen konnte.

Als ich nun begriffen hatte, dass der neuste Schrei in Sachen Tierfutter jetzt die Rohfütterung ist, unterhielt ich mich mit verschiedenen Hundebesitzern, die diesem Hobby bereits seit mehreren Jahrzehnten frönen. Ganz stolz berichtete ich von meinen neuen Erkenntnissen, in der Hoffnung, Dank für die wertvollen Tipps zu ernten. Aber weit gefehlt. Nun erntete ich das mitleidige Lächeln. Ich hörte: „Junge, so haben wir vor 25 Jahren in der DDR nur gefüttert, es gab ja nichts anderes. Wir haben das Fleisch immer von der Freibank geholt. Manchmal haben wir es gekocht, aber nicht immer. Sonntags hat Bello dann die Reste vom Mittagessen bekommen.“ Nun war ich richtig platt. Konnte es denn sein, dass „Barf“ doch gar nicht so etwas Super-Mega-Modernes war? Ich konterte aber sofort und fragte nach, ob die Hunde dann nicht oft krank waren, wenn sie nicht die wertvollen biologischen Zutaten aus innovativen Futterkreationen bekamen und somit die Tierarztpraxen ständig überfüllt waren. „Nö“, bekam ich zur Antwort, „Tierärzte haben damals meistens Kälbchen oder Fohlen zur Welt gebracht.“

Da stand ich nun, nachdenklich und hin und her gerissen. Je mehr ich drüber nachdachte, umso mehr wurde mir aber klar, dass es natürlich und logischerweise das Superfutter aus dem Karton ja erst seit einigen Jahrzehnten, wenn überhaupt, gibt, Hunde aber schon bei den alten Ägyptern „in“ waren. Was die wohl gefressen haben mögen?

Lassen Sie uns nun noch einmal zur Futtertüte und den wertvollen Zutaten zurück kommen.

Ich habe mich mal völlig wahllos auf die Internetseite eines Herstellers von Hundetrockenfutter begeben und mir dort ebenso wahllos ein Produkt ausgesucht und dessen Inhaltsstoffliste heraus kopiert. Hier das Ergebnis:

Zusammensetzung: Mais, Geflügelfleischmehl, Reismehl, Grieben, Lammfleischmehl, Fischmehl, Geflügelfett, Rinderfett, Hämoglobin (getrocknet), Leberhydrolisat, Rübenmelasseschnitzel, Sonnenblumenöl (0,75%), Apfeltrester (getrocknet) (0,7%), Volleipulver, Natriumchlorid, Hefe (getrocknet), Kaliumchlorid, Rapsöl (0,25%), Gerste (fermentiert) (0,2%), Meeresalgen (getrocknet) (0,15%), Leinsamen (0,15%), Artischocke, Löwenzahn, Ingwer, Birkenblätter, Brennnessel, Salbei, Koriander, Rosmarin, Thymian, Süßholzwurzel, Muschelfleisch (getrocknet) (0,01%), Kamille, Ulmenspierkraut, Bärlauch. (Kräuter gesamt: 0,14%)

Haben Sie genau gelesen?

Und? Möchten Sie mal einen Haps?

Oder meldet sich grad Ihr Frühstück zurück?

Wissen Sie z. B., was Apfeltrester sind? Ich wusste es bis vor einigen Tagen auch nicht, aber Dank dem weltweiten Internet weiß ich es jetzt: Abfälle! Das was beim Auspressen von Äpfeln zur Apfelsaftherstellung an Trockensubstanz übrig bleibt. Und wenn man weiter liest, dann erfährt man, dass diese Apfeltrester ein wertvolles Futter für die Nutztierzucht darstellen – wenn sie vergoren verfüttert werden – Prost, Wauzi!

Oder können sie sich unter „Leberhydrolisat“ etwas vorstellen? Ich nicht. Will ich auch gar nicht!

Ich meine, gut, die vielen Kräuter machen was her, besonders verkaufspsychologisch, aber das sind ja nur 0,14 %. Wieviel Gramm dieses Futters frisst denn ein Hund täglich? Ich weiß es nicht, aber Sie, denn Sie haben ja wohl einen Hund. Aber wenn ich mir vorstelle, dass ein Sack mit einem Inhalt von um die 15 kg in der Regel um die 40,00 € kostet, ich mir dann ansehe, was frische Kräuter im Supermarkt kosten, oder gar Meeresalgen, etwa Kelb (?), dann beschleicht mir der leise Verdacht, auch hier könnten womöglich Kräuterabfälle verarbeitet worden ein. Aber dieses Geheimnis wird wohl hinter dicken Panzertüren in irgendwelchen Chefetagen bewahrt werden. Erstaunlich finde ich in diesem Zusammenhang auch Folgendes: als diese ganze Barferei der Wiege entschlüpft war, fingen die Hersteller industrieller Futtermittel mächtig das Strampeln an und versuchten, den geneigten Barf-Anfänger mit Horrorvisionen davon abzubringen, seinem Liebling ein schönes Stück Pansen anzubieten. Ja man ging sogar so weit, in einem führenden Wirtschaftsmagazin unter der Rubrik „Wissenschaft“ verantwortungslosen Eltern zu erklären, dass sie die Gesundheit Ihrer Kinder gefährden würden, wenn sie mit rohem Fleisch hantieren. Ist das jetzt die Vorstufe davon, dass uns demnächst das Grillen von Steaks verboten wird?

Die bösen Bakterien sind der gefährlichste Feind unserer modernen menschlichen Zivilisation. Dieser Feind muss gnadenlos vernichtet werden, überall, wo man auf ihn trifft. Ja selbst die Kloschüssel muss absolut keimfrei sein, damit Bubi darin auch mit seinem Auto spielen kann. Was ich mich allerdings frage, ist: was ist aus unserem guten alten Immunsystem geworden? Wurde das im Zuge irgendwelcher revolutionärer Veränderungen, von uns unbemerkt, gleich mit abgeschafft oder hat es einfach keinen Bock mehr, weil wir uns täglich ähnlich spaßige Sachen in den Mund schieben. Ich habe z. B. bis heute nicht begriffen, was Glutamat ist. Vielleicht sollten auch wir bei uns selbst mal wieder mit dem Barfen anfangen.

An der obigen Inhaltsliste ist noch etwas interessant: warum sind einige Inhaltsstoffe mit Ihrem Anteil am Gesamtprodukt angegeben, andere aber wiederum nicht? Mir konnte bisher niemand diese Frage mit Sicherheit beantworten.

Aber eins kann ich Ihnen mit Sicherheit beantworten: in 1 kg Pansen sind 1 kg Pansen - sicher! Und wenn Sie ihn ungereinigt und frisch geben, dann stehen ihrem Hund auch noch auf völlig natürlichem Weg die vorverdauten Pflanzen und die notwenigen Bakterien zu Verfügung, ohne die es nicht geht, denn nur eine intakte Darmflora garantiert einen gesunden Hund.

Ach, da fällt mir noch die Reaktion meines Vaters ein: „Hunde, die rohes Fleisch fressen, stinken“.

Stimmt, wenn sie es einmal im Monat bekommen, weil man grad bei den Grillvorbereitungen unachtsam und Wauzi schneller war. Das Verdauungssystem als höchst komplexes Organ mit vielen komplizierten biochemischen Vorgängen kann sich nicht so schnell und selten umstellen. Das führt dann zu so komischen Gerüchen und Gerüchten. Fragen Sie mal die Barfer von heute, die, die es mittlerweile begriffen haben, sie können endlich auch ihr Wohnzimmerfenster mal wieder schließen. Tja, und nun?

Was ist denn Barfen nun?

Neue Mode oder alter Hut?

Gefährlicher als Tonerfeinstaub oder ein Sieg der Vernunft?

Ich weiß es nicht. Urteilen Sie selbst!

Henry Wollentin

 
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