„Hilfe, mein Hund ist unerziehbar!“

Dr. med. vet. Vera Biber

Leseprobe

Hyperaktivität ist noch keine allgemein anerkannte veterinärmedizinische Diagnose, ist doch schon eine solche Diagnose in der menschlichen Psychiatrie schwer zu stellen. Da verwundert es sicher niemanden, dass die Erkennung der Krankheit bei einem Tier, das sich nicht verbal äußern kann, noch weitaus größere Probleme bereitet. Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden sind ein immer häufiger werdendes Phänomen bei Hundebesitzern und in der tierärztlichen Praxis. Ein amerikanischer Kollege nennt diese Art der mentalen Degenerationserscheinung »kognitives Dysfunktionssyndrom« und trifft damit die Sache besser als die vielen verschiedenen mehr oder weniger unglücklichen Umschreibungen in der Humanmedizin. [...]

»Welche Behandlungsmöglichkeiten gäbe es denn da?«, werden Sie fragen. 

Natürlich könnte es möglich sein, ein übernervöses Tier durch vermehrte Zuwendung, viel Geduld und eine besonders ruhige Umgebung halbwegs zu normalisieren. Auch Beruhigungsmittel könnten helfen, sind aber selten eine Dauerlösung.

Es gibt ein angeboren-individuelles pathologisches Verhalten als Reaktion auf bestimmte, meist industrielle Futtermittel, welches durch Erziehung kaum beeinflusst wird, weil es neurologisch bedingt ist.

Auch dies werde ich noch genauer erläutern.

Ähnliche wie die [auf den vorangehenden Seiten des Buches] vorgestellten Fälle werden in der tierärztlichen Praxis immer häufiger, aber meist nur durch Zufall angesprochen oder erkannt, fühlen sich die Besitzer doch schuldig oder wollen nicht zugeben, dass sie nicht in der Lage sind, ihren Hund zu einem gesellschaftsfähigen Genossen erziehen zu können. Im Allgemeinen wird der Zusammenhang zwischen Nervensystem und Fütterung nicht erkannt, ja, sogar als unsinnig abgetan! Dabei kann es keinen Zweifel mehr geben, dass bei Hund und Kind gleichermaßen durch unsere neuzeitliche, denaturierte Ernährungsweise und überreizende Umgebung die gleiche Behinderung entsteht. Ihre Bezeichnung: Hyperaktivität oder Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Die Parallelität zwischen tierischer und menschlicher Erkrankung kann uns dabei eigentlich nicht allzusehr verwundern, denn der Hund als engstes Haustier nimmt ja in besonderer Weise an den Zivilisationskrankheiten teil, die auch den Menschen betreffen.

Die meisten Hundebesitzer machen sich nicht klar, dass heutzutage die meisten Hundefutter fast ausschließlich aus pflanzlichen Rohstoffen bestehen. So genannte Fleischbällchen ebenfalls, sie werden nur noch abschließend mit einem industriell hergestellten Fleischextrakt besprüht, der den Geruch und das Aussehen von Fleisch künstlich durch Aromen und Farbstoffe bekommen hat. Dieser Fleischauszug wird hergestellt aus bereits entfettetem, industriell künstlich vorverdautem Abbau tierischer Gewebe aus Schlachtabfällen von Geflügel oder aus den Eingeweiden oder Lungen von Rindern, denen Phosphorsäure zugesetzt wird, bis im richtigen Moment der Prozess wieder gestoppt werden soll. Aus dem verbackenen Getreidebrei mit etwas künstlichem Fleischgeschmack drumherum werden jetzt »feine Kroketten mit Rind« oder »Fleischbällchen mit Huhn«, und da machen auch die so genannten Premiumprodukte keine Ausnahme. Die Werbung suggeriert Verschiedenheit fast völlig identischer Sorten, wo nur ein winziger geschmacksbestimmender Teil verändert ist, den das Tier vielleicht nicht einmal wahrnimmt.

Ähnliches geschieht mit Dosenfutter, welches als Hauptbestandteil Struktureiweiß enthält, das nichts anderes ist als ein gefärbtes Sojabohnenprodukt, und die dunkleren Stücke darin, die wie Leber aussehen, können Partikel aus Holzkohle sein.  Die »Fleischstücke« haben alle Eigenschaften des Fleisches, das sie darstellen sollen, außer seinem Nährwert, und sein Geschmack ist durch synthetische Aromen ersetzt.

Durch ein immer größeres und zunehmend unüberschaubares Angebot von Fertigfutter sind Mangelkrankheiten, die sich auf ein ganz bestimmtes Futter zurückführen lassen, seltener geworden, weil der Käufer immer wieder verführt wird, Neues auszuprobieren, zum Vorteil seines Hundes, den er damit vor Einseitigkeit schützen kann. Aber immer häufiger in Erscheinung tretende futterabhängige Erkrankungen im Allgemeinen sind die in immensem Maße zunehmenden Allergien.

Eine Allergie ist eine individuelle Empfindlichkeitsreaktion auf natürliche oder synthetische Stoffe in Luft, Wasser oder Nahrung oder bei Kontakt mit Feststoffen mit verschiedenen Zielorganen, wozu neben Haut und Darm meist unerkannterweise auch Nerven und Gehirn zählen, welche nun mal eng verbunden sind mit dem Verhalten, weshalb es zu Wesensveränderun- gen kommen kann. Eine Allergie ist eine übermäßige Aktivität des Immunsystems auf für andere Individuen normalerweise verträgliche Stoffe. Den Allergien bei Hunden werden bis heute in der Hauptsache Ekzeme mit Hautjucken zugeordnet, gelegentlich auch Durchfallerkrankun- gen, aber so gut wie nie werden Allergien für unnormal schwieriges Verhalten, Aggressionen, Bösartigkeit oder gar mangelnde Stubenreinheit verantwortlich gemacht. Verhaltensauffälligkeiten werden selbst in der neuesten tierpsychologischen Literatur bestenfalls pädagogischen, genetischen, erfahrungsbedingten und psychosomatischen (?) oder unspezifizierten ökologischen Ursachen zugeordnet, nicht aber neuropatho- logischen oder allergischen. Die Ernährung wird als wichtiger Kausalfaktor schlichtweg übersehen, obwohl heutzutage so oft von ganzheitlichem Ansatz die Rede ist.

Nur in sehr weniger mir zugänglicher veterinärmedizinischer Literatur hat ein Tierarzt ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen Verhalten und Ernährung hingewiesen. Die Therapie des Kollegen schließt zwar eine nicht näher spezifizierte proteinarme Ernährungsumstellung ein, legt aber den Schwerpunkt mehr auf Verhaltenstherapie in Verbindung mit verschiedensten, auch in der Humanmedizin gebräuchlichen Psychopharmaka.

Nach meiner Erfahrung ist eine Verhaltenskonditionierung jedoch erst sinnvoll, wenn bereits eine individuelle Futterumstellung solcherart schwieriger betroffener Hunde vorgenommen und so das Gehirn von Giftstoffen befreit und aufnahmefähig geworden ist. Dann sind keine Psychopharmaka mehr nötig, und wir brauchen nicht allergische Körpervergiftungen mit noch mehr Giften zu therapieren. Die darauf folgende Erziehung stützt sich auf regelmäßiges, konsequentes Reglement durch positive Verstärkung. Diät ist nicht alles, aber ohne Diät ist alles nichts.

Das, was ich hier gegen Haut-, Wesens- und Darmkrankheiten propagiere, ist aber eigentlich keine Diät, denn diese Behandlung bedeutet nichts anderes als den Einsatz möglichst naturnaher Ernährung, soweit sie heutzutage noch möglich ist.

Wollen wir alle zu wandelnden Robotern der Pharma- und Ernährungsindustrie werden? Ich persönlich halte mehr vom Leitsatz »Zurück zur Natur!«, d. h. besser das Futter wieder dem Hund als das Lebewesen der Fabrik anzupassen, besser Vorbeugung als Behandlung!

Aufgrund eigener Beobachtungen und medizinischer Erfahrungen behaupte ich, dass wie beim Menschen durch gewisse allergene Stoffe in der Nahrung, besonders in Fabrikfutter, bei disponierten Hunden eine Zerebralallergie ausgelöst wird, die durch die Beeinträchtigung des Gehirnstoffwechsels eine Krankheit bewirkt, die dem Hyperkinetischen Syndrom beim Menschen entspricht. Die Erforschung dieser Erkrankung wirft auch beim Menschen noch viele Fragen auf. Es liegen aber vergleichbare Verhaltensauffälligkeiten vor. Diese Abweichungen vom Normverhalten sind, weil neurologisch bedingt, kaum durch Erziehung beeinflussbar. Erst nach Eliminierung der allergenen Giftstoffe aus dem Stoffwechsel ist es möglich, durch Verhaltenskonditionierung Normalisierung zu bewirken. [...]

 
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